moin, ZITAT(stevemark @ 2011-04-29, 23:05) Als Chemiker kann ich sagen, dass der schwarze Rauch, die gerichtete Detonation und der überdeutlich sichtbare Lichtblitz bei Reaktor 3 nicht auf Wasserstoff zurückzuführen sind. Konventionelle Sprengstoffe lagerten mit Sicherheit nicht im Reaktorgebäude - und so bleibt nur die Annahme einer Nuklearen Kettenreaktion/Explosion im Lager für abgebrannte Brennelemente.[/quote] Wenn Du die Explosion als "Detonation" einschätzt, dann wäre dies beweisend für eine chemische Explosion. Kernreaktionen können nicht detonieren! Das einzige, was an einer Kernwaffe detoniert, ist der konventionelle Sprengstoff für die Zündung.
Da es auch in anderen Teilen der Anlage Brände mit "schwarzem Rauch" gab, tippe ich auf ein Gemisch aus Wasserstoff, Maschinenöl, geschmolzenen Kabelisolierungen, Plutoniumstaub usw. Das ganze durch eine initiale Wasserstoffverpuffung oder Dampfexplosion zerstäubt ergibt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Aerosol/Staubexplosion, und dass passt von Aussehen und Wirkung gut zu dem, was auf den Videos zu sehen ist.
Das schließt nicht aus, dass es in Reaktor 3 ein Kritikalitätsproblem gab, welches in wesentlichem Zusammenhang mit der Explosion stand, z.B. eine initiale Wasserdampfexplosion ausgelöst hat. Eine Kernexplosion fand dort sicher nicht statt.
Es wurden in den Folgetagen wiederholt Neutronen"blitze" dort gemessen, dies deutet auf ein andauerndes Kritikalitätsproblem im spent fuel pool hin. Aber dann wäre es geradezu Wahnsinn, Wasser draufzukippen, welches als Moderator die schnellen Neutronen bremst und die Kettenreaktion verstärkt. Bor und trockener Quarzsand wäre besser geeignet, die aufschmelzende Masse würde sich zu einer glasig-keramischen "Lava" vermischen, welche kaum in eine geometrisch kritische Konfiguration fließen kann. Leider werden dabei die flüchtigen Elemente freigesetzt, flüchtig meint hier alles, was bei 2500-2800°C verdampft. Insbesondere Cäsium, Jod und Strontium wären bei einem solchen Ablauf vollständig als Dampf freigesetzt worden. Da in dem Becken 514 abgebrannte Brennelemente lagern, einige davon vmtl. MOX, wäre die Menge an freigesetzten Radionukliden vmtl. größer als in Tschernobyl (dort waren die Brennstäbe "fast neu", enthielten folglich noch relativ wenig Spaltprodukte, und die Menge war kleiner). Dafür würde bei einem solchen Szenario der Dreck nicht in die obere Atmosphäre verfrachtet, die Verstrahlung bliebe also regional begrenzt (Ostasien, Pazifikinseln, mglw. Teile der Westküste der USA).
Die Explosion dürfte auch nicht den Reaktordruckbehälter oder das Containment zerstört haben, denn dann sähe die Ruine anders aus, insbesondere würden sich in einigen km Umkreis keine Menschen mehr aufhalten. Schon allein die chemische Toxizität des Plutoniums der in Block 3 eingesetzten MOX-Brennelemente würde dies wirksam verhindern. Immerhin steht das Containment auch Wochen später immer noch unter Druck, was mit einem "weggeflogenen Deckel" (Johannes/Giovanni) unvereinbar ist. Die Quelle dürfte der spent fuel pool gewesen sein. Nur zur Erinnerung, in Fukushima Daiichi lagern die abgebrannten Brennelemente der letzten gut 14 Betriebsjahre, davon fast alles schon immer praktisch unter freiem Himmel (die dünne Verkleidung des oberen Teils der Reaktorgebäude ist kaum mehr als ein Wetterschutz). Der Betreiber hatte die abgebrannten Brennelemente, da die Lagerkapazität erschöpft war, "umgepackt", also dichter gepackt und größere Mengen in jedem einzelnen Abklingbecken. Welche Konsequenzen das hat, kann man sehr schön an Block 4 betrachten. Block 4 war seit 30. November 2010, also zum Zeitpunkt des Bebens schon über drei Monate, wegen Wartung außer Betrieb, im Reaktor sind keine Brennstäbe. Trotzdem stehen nur noch Ruinen von dem Reaktorgebäude, und dies war direkt nach Erdbeben und Tsunami noch nicht so.
Es ist seit 1971 bekannt, dass die Notkühlung von GE BWR-Typen nicht funktionieren kann. Es ist weiters spätestens seit 1979 (Three Mile Island) bekannt, dass es in unzureichend gekühlten Druck- oder Siedewasserreaktoren zur Bildung von großen Mengen Wasserstoff kommt, welcher gern mal spontan verpufft oder gar detoniert. Trotzdem werden weltweit eine größere Anzahl dieser Typen weiter betrieben, ohne dass diese hinlänglich bekannten Probleme angegangen würden. Wenn zu diesen Basisproblemen dann noch die unverantwortliche Lagerung großer Mengen (ca. 2000 t) abgebrannter Brennelemente in den nur für die Zwischenlagerung bis zum Abtransport vorgesehenen offenen Abklingbecken hinzutritt, diese auch noch dichter gepackt werden um mehr reinquetschen zu können, das ganze in einem Erdbebengebiet am Meeresstrand gebaut wird, die Notstromdiesel an der Kaimauer locker abgestellt werden, die Dieseltanks für diese oberirdisch dicht über dem Meeresspiegel aufgestellt sind, es kein mehrfach redundantes Stromversorgungsnetz gibt, keine verbunkterten Notstandswarten vorhanden sind und die im nächsten Baumarkt nach Eintritt des Störfalles aufgetrieben Notstromaggregate mangels passender Kabel von den Technikern nicht angeschlossen werden können, dann ...
haben wir alle es nicht besser verdient. Sorry, das ganze klingt sehr zynisch, ist aber leider im Wesentlichen wahr. In Details mag ich irren oder falsche Infos haben.
Es sieht hierzulande übrigens nur unwesentlich besser aus, einen GAU bekommen wir hier in den Griff. Ist auch kein Wunder, schließlich ist GAU die veraltete/umgangssprachliche Bezeichnung für einen Auslegungsstörfall, welcher -per definitionem!- beherrschbar ist. Netterweise wird hierzulande immerhin der station black out zu den Auslegungsstörfällen gezählt, und GE BWR mit in solcher Situation bekanntermaßen unbrauchbaren Notkühlsystemen sind hier glücklicherweise nicht mehr in Betrieb. Die ähnlichen Baureihe-69-Uraltkisten hierzulande sind entweder stillgelegt, wegen dauernder Störfälle seit längerem außer Betrieb (Brunsbüttel, Krümmel) oder am 17.03.2011 auf Weisung der jeweiligen Landesregierung abgeschaltet worden (Isar1, Philippsburg1). Unsere Freunde jenseits der Ö-Grenze waren so klug, per Volksentscheid das fertige Baureihe-69-KKW Zwentendorf schon vor Inbetriebnahme stillzulegen.
@uwe: Roboter kannst Du vergessen: die Elektronik ist nicht strahlenresistent, und strahlenfestes Zeuchs (die NASA verwendet sowas) ist so dämlich, dass man damit keine in einer solchen Situation sinnvoll einsetzbaren Systeme bauen kann.
Interessant Dein Hinweis auf dieses lustige Experiment. Ich kannte nur die beiden Versuche mit dem "demon core", bei denen die Experimentatoren durch versehentliches Fallenlassen von Wolframkarbidklötzchen oder Abrutschen mit dem Schraubenzieher zwischen den Beryllium-Halbkugeln ein kleines Kritikalitätsproblem hatten. Immerhin haben sich beide jeweils binnen Wochenfrist für den Darwin-Award empfohlen.
Bzgl. GAU s.o.: GAU ist harmlos, da beherrschbar. Eine Kernschmelze im Reaktordruckbehälter ist übrigens nur ein GAU, und das ist schon so oft passiert, dass ich auf die Schnelle nicht alle Fälle zusammenbekomme. Ein station black out bei einem seit längerem abgeschalteten Reaktor scheint dagegen bei der Auslegung nicht bedacht worden zu sein, sonst müsste Block 4 ja noch stehen.
Um den Zynismus auf die Spitze zu treiben: das Thema "kleines Nuklearproblem weit weg von hier" ist mittlerweile so durchgekaut, dass der durchschnittliche B...-Leser es nicht mehr hören kann. Aus den Tagesnachrichten ist es mittlerweile verschwunden, noch ein paar Wochen die Füße still halten, alle zwischenzeitlich auftretenden meldepflichtigen Störfälle erst mal verheimlichen, dann kann im Sommer das "business as usual" wieder aufgenommen werden. Um die Wogen beim Auslaufen des Moratoriums schnell zu glätten, wird das in der Hauptferienzeit gemacht und zwei oder drei eh schrottreife Reaktoren gnädig stillgelegt, und das war's dann.