QUOTE (J-D @ 4. 7. 2008, 23.10 h) Ich revidiere meine Aussage "Du schreibst von Wiki ab", da das von Dir geschriebene absolut höheres Niveau hat und weit über dem von Wiki steht.[/quote]
Ist schon recht, vergessen wir's. Keine Schmeicheleien jetzt
Noch einmal zu der Frage, warum über die kritische Blende hinaus keine Zunahme der Schärfentiefe möglich ist, und ob die maximal mögliche Schärfentiefe sich denn nicht immer bei der kleinsten Blende des Objektives ergibt --
Doch, natürlich ergibt sich mit praktisch jedem Objektiv bei dessen kleinster Blende die mit diesem Objektiv bei der gegebenen Entfernungseinstellung maximal mögliche Schärfentiefe. Und zwar deshalb, weil die Objektivhersteller die kleinste Blende weise beschränken. Selbstverständlich wäre es kein Problem, Blenden einzubauen, die sich bis f/64 oder f/90 oder noch weiter zudrehen ließen. Und warum gehen die meisten Kleinbildobjektive "nur" bis f/22 (und ein paar bis f/32)? Weil das im Fernbereich für Kleinbild etwa die förderliche Blende ist -- also die Blende, bei der sich ein guter Kompromiß aus großer Schärfentiefe und noch guter Allgemeinschärfe ergibt. Bis vor ca. 30 Jahren war als kleinste Blende bei Kleinbildobjektiven sogar f/16 üblich. Objektivhersteller müssen schon aus Selbstschutz die kleinste Blende auf einen Wert in der Nähe der förderlichen Blende begrenzen, weil sonst beim Kundendienst ein endloser Strom von Beschwerden seitens unkundiger Anwender einliefe, die über "schlechte Schärfe" klagen.
Weil die förderliche Blende vom Bildformat abhängt, kann man Mittelformatobjektive gewöhnlich bis etwa f/32 oder f/45 abblenden und Objektive für Großformat bis f/64 oder f/90 oder noch weiter. Je größer das Bildformat, desto geringer der relative Einfluß der Beugung auf die Bildschärfe, und desto weiter darf abgeblendet werden, ohne die Maximalschärfe allzu sehr zu kompromittieren. Und umgekehrt kann man die Objektive kleinformatiger Digiknipsen gewöhnlich nicht weiter als f/6,7 oder f/8 abblenden.
Die kritische Blende hingegen liegt -- bei Fokussierung auf den Fernbereich, d. i. Enfernungen größer als 1 - 2 m -- noch einige Stufen weiter; in diese Region kommt man also für gewöhnlich gar nicht. Im Nah- und Makrobereich aber ergeben sich durch die großen Abbildungsmaßstäbe effektive Blenden, die um mehrere Stufen kleiner sind als die am Objektiv eingestellten Nennwerte. Und hier kann man die kritische Blende durchaus erreichen und überschreiten.
Um zu verstehen, warum es so etwas wie eine "kritische Blende" überhaupt gibt, muß man sich einmal vergegenwärtigen, was Schärfentiefe eigentlich ist. Man sagt, ein bestimmter Motivteil liegt "innerhalb" oder "außerhalb" des Schärfebereiches -- aber was bedeutet das genau? Ist alles knackscharf, was innerhalb liegt, und alles unscharf, was außerhalb liegt? Nein, so einfach ist das nicht. Tatsächlich ist richtig scharf nur das, was exakt in der Einstellebene liegt. Alles, was davor oder dahinter liegt, ist unscharf -- und zwar umso unschärfer, je weiter es von der Einstellebene entfernt liegt. Das ist ein fließender Übergang: von scharf über noch scharf, fast scharf, immer noch ziemlich scharf, beinahe noch scharf, nicht mehr so richtig scharf, schon ein bißchen unscharf, schon ganz schön unscharf bis total unscharf. Da gibt es keine "Stufe", die scharf von unscharf trennt, sondern der Übergang ist ein allmählicher, stufenloser, fließender.
Und in diesen fließenden Übergang knallt man einfach per Ordre de Mufti einen willkürlich gewählten Schwellwert hinein, der künstlich eine Grenze zwischen "scharf" und "unscharf" zieht -- den sog. maximal zulässigen Streukreisdurchmesser nämlich. Punkte im Gegenstandsraum werden als mehr oder weniger große Streukreise abgebildet, je nach ihrem Abstand von der Einstellebene. Und man legt nun einen bestimmten maximalen Streukreisdurchmesser fest, bis zu dem man die Abbildung eines Punktes per definitionem als "noch ausreichend scharf" ansehen will. Eine rein willkürliche -- aber natürlich schon insgesamt sinnvoll gewählte -- Definitionssache. Doch wie dem auch sei -- über den sog. maximal zulässigen Streukreisdurchmesser haben wir nun ein Kriterium an der Hand, mit Hilfe dessen wir scharf von unscharf unterscheiden können bzw. wollen.
Je kleiner nun die Blende ist, desto weiter dürfen Punkte im Gegenstandsraum von der Einstellebene entfernt liegen, ohne daß der Duchmesser ihres Abbildes jenen maximal zulässigen Streukreisdurchmesser überschreitet -- die Schärfentiefe wird also größer. Aber auch innerhalb des Schärfebereiches ist nicht alles gleich scharf. Stattdessen ist's irgendwo in der Mitte am schärfsten, und davor und dahinter wird's zunehmend unschärfer, bleibt aber gemäß des Kriteriums des maximal zulässigen Streukreisdurchmessers "noch ausreichend scharf".
Doch leider gibt es noch einen anderen Effekt außer Mißfokussierung, welcher die Abbildung von Punkten zu Streuscheibchen verzerrt -- die Beugung nämlich. Diese verringert mit zunehmender Abblendung die maximal mögliche Schärfe, und zwar überall im Bild, also auch in der Einstellebene. Ist die Blende also sehr klein, so vergrößert sich zwar der Schärfebereich gemäß des Kriteriums des maximal zulässigen Streukreisdurchmessers, doch zugleich nimmt die Maximalschärfe in der Mitte des Schärfebereiches immer weiter ab. Wird die Blende noch kleiner, so sind die Streuscheibchen irgendwann bereits in der Einstellebene so groß wie der maximal zulässige Streukreisdurchmesser. Die Schärfe innerhalb des Schärfebereiches nimmt also nun nicht mehr vom vorderen Ende des Bereiches zur Mitte hin zu und dann zum hinteren Ende wieder ab, sondern ist über die gesamte Tiefe des Schärfebereiches gerade so "ausreichend scharf" -- gemäß unseres Kriteriums. Blendet man dann noch weiter ab, so gibt es im gesamten Bild keinen einzigen Punkt mehr, dessen Streukreis kleiner wäre als der maximal zulässige. Mit anderen Worten, anstelle eines noch größeren Schärfebereiches bekommen wir plötzlich ein Bild, in dem gar nichts mehr "ausreichend scharf" ist -- die Bildschärfe bricht komplett zusammen. Und die Blende, bei der dies geschieht, heißt kritische Blende.
Wie gesagt, im Fernbereich kann man die allermeisten Objektive gar nicht so weit abblenden, daß man in den Bereich käme, wo gar nichts mehr scharf wird. Im Makrobereich aber, wo mit zunehmenden Abbildungsmaßstäben Nennblende und effektive Blende immer weiter auseinanderklaffen, geht das oft ganz schnell -- wie man an Steffens Fliegenaugenbildern sehen kann.
Das, was zur Zeit bei Wikipedia unter dem Stichwort "Kritische Blende" beschrieben steht, ist in Wirklichkeit die sog. optimale Blende, d. i. die Blende, bei der sich Linsenfehler und Beugung die Waage halten, das jeweilige Objektiv also seine beste Maximalschärfe erreicht und ab der das Objektiv beugungsbegrenzt ist. An sich ist jener Artikel schon korrekt (bis auf die in einem Satz angedeutete Definition der förderlichen Blende) -- nur das Stichwort, unter dem das Ganze erscheint, ist falsch.
-- Olaf