ZITAt (ddd @ 2011-08-08, 2:48) ...
steve, Du hast sicher noch mehr "Charakter-Linsen". Es muss ja nicht so drastisch sein, ich finde Deine Hinweise jedenfalls immer sehr aufschlussreich, insbesondere bei den nicht so ins Auge springenden Eigenschaften.
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Ja, es steht noch einiges rum hier ... Zunächst natürlich die ganzen MinAF-Sachen, bei denen mir - außer Exoten wie dem 600er - eigentlich nur noch das 1.4/35 mm fehlt; gerade diese Optik ist so eine typische "Charakterlinse". In etwas abgeschwächter Form gilt das auch für das MinAF 2/28mm (und natürlich das optisch baugleiche MD III 2/28mm). Mit letzterem Objektiv hab ich in Kürze was vor - mal schauen, ob's gelingt.
Die ganzen Minolta SR-Sachen harren natürlich auch noch einer Aufarbeitung - rund hundert Optiken, die sich hier angesammelt haben; bevor ich damit aber loslege, sollte eine entsprechende FF-DSLR einsatzfähig sein. Ich schliesse - je nach Erfolg der NEX-7 - nicht aus, dass es eine NEX-9 geben wird; zumindest weiss ich aus erster Hand, dass das E-Bajonett FF-tauglich ausgelegt wurde. Und die Tendenz, die NEXen als "Digiback" zu gebrauchen und weitere Elektronik/Optikelemente im E-/A-Bajonettadapter unterzubingen, finde ich hochinteressant. Etwas weitergesponnen liessen sich damit auch praxistaugliche (! Adapter für Leica R, für Minolta MC/MD oder für Canon FD anfertigen. Alle diese Optiken sind viel zu schade, um sie wegzuwerfen ... und Fokussierhilfen à la Ricoh-Leica-Modul würden trotz EVF auch zu einer halbwegs brauchbaren Fokussierung führen.
Dieses Jahr - aufgrund der entsprechenden Artikelreihe im Fotospiegel - habe ich mich hauptsächlich auf die Zeiss-Klassiker zwischen 1900 und 1950 eingelassen. Es sind dies im Wesentlichen das Tessar, die zahlreichen Sonnare, das Planar (mit dem daraus abgeleiteten Biotar) und die zwei Generationen des Biogon. Alle diese Optiken haben Fotogeschichte geschrieben; sie wurden von allen Herstellern kopiert (jeweils am Ende der beiden Weltkriege verfielen die deutschen Patente), und mit Ausnahme von Pierre Angénieux, der um 1950 das Retrofokus-Prinzip (für SLR-Weitwinkel) entwickelte, basieren auch heute noch so gut wie alle Foto-Objektive auf den genannten Zeiss-Klassikern. Aber selbst bei den Retrofokus-Objektiven ist das Grund-Objektiv in der Regel ein Tessar, ein Ernostar/Sonnar oder ein Planar (man schaue sich z. B. das SAL 1.4/35mm an). Auch die Zooms haben als Grundobjektiv in der Regel ein Triplet, ein Tessar, ein Ernostar oder - seltener - ein Planar.
Gerade Ludwig Bertele's Konstruktionen sehe ich als ausgesprochene "Fotografenobjektive". Bertele, der zwar für Zeiss, aber nicht bei den Zeiss-Stammwerken gearbeitet hat (obwohl er gewollt hätte), hat eine Reihe von Objektiven geschaffen, die auch heute noch sehr "einsetzbar" sind. Im Gegensatz zu Mertés 1.5/75 mm, dessen "swirling Bokeh" mich nicht wirklich reizt (gleiches gilt für das ähnlich ausgelecte Leica Noctilux), hat z. B. ein Sonnar 2/85 mm oder ein Sonnar 2.8/180 mm eine wunderbar ausgewogene Charakteristik (ich rede hier immer von den alten Konstruktionen aus den 1930er Jahren - und nicht von den modernen Optiken gleichen Namens!!!. Auch die winzigen Sonnare 4/135 mm und 3.5/135 mm lassen sich bestens bei Offenblende an der A900 nutzen. Ihre Leistung ist eher besser als das aktuelle 70-200G ... von der Handlichkeit ganz zu schweigen.
Die kürzeren Sonnare (das 2/50 mm von 1931 und das 1.5/50 mm von 1932) können digital praktisch nur an der M8/M9 eingesetzt werden. Zudem benötigen sie spezielle Adapter. Das 1.5/50 mm Sonnar hat bei f1.5 das typische "Glow" - man sieht Thambar-ähnliche Eigenschaften, allerdings in stark abgeschwächter Form. Sobald man leicht abblendet (f2 oder f2.8 ), wird das Sonnar 1.5/50 mm praktisch "normal". Je nachdem, ob man ein vergütetes Kriegs-/Nachkriegs-Sonnar oder ein unvergütetes Vorkriegs-Sonnar hat, unterscheidet sich die Kontrastwiedergabe nochmals deutlich. Die unvergüteten Objektive haben eine weit bessere Schatten und Lichter-Durchzeichnung (so in etwa entsprechend DRO Level 3-4); falls man zuwenig Detailkontrast hat, kann man den ja heute problemlos per EBV anheben ("Schärfen".
Aus den genannten beiden Gründen eignen sich alte, unvergütete Linsen nicht nur fürs Grossformat (dort müssen nicht 50LP/mm mit höchstem Kontrast übertragen werden, sondern eher 10 LP/mm), aber neuerdings eben auch wieder für DSLRs, speziell fürs Vollformat. Erstens reicht die Auflösung gerade noch für 24MP-FF-Sensoren, zweitens kann man den Kontrast bei 50LP/mm rechnerisch anheben, und drittens ist die ausgleichende Wirkung Balsam für die Sensordynamik.
Einige der von Wanderleb und Merté bei Zeiss gerechneten Tessare (in den Brennweiten 2.8/50 mm, 3.5/50 mm, 4.5/75mm, 3.5/105mm, 4.5/135mm, 4.5/150 mm und 4.5/210 mm) sowie ein paar Tessar-Abkömmlinge (Bereks Leitz Elmare 3.5/50 mm und 4/90 mm, sowie das Schneider Xenar 2.8/50mm usw.) habe ich ebenso wie die wichtigsten klassischen Bertele-Sonnare (1.5/50 mm, 2/50 mm, 2/85 mm, 4/135 mm, 3.5/135 mm und 2.8/180 mm) inzwischen bereits recht ausführlich ausprobiert. Momentan sind die von Merté gerechneten Zeiss Biotare dran (speziell das 2/58 mm und das 1.5/75 mm); die klassischen Bertele-Biogone (2.8/35 mm von 1936 sowie 4.5/21 mm von 1952) werden folgen.
Alle diese Objektive fördern die Lust am Photographieren (hier bewusst mit "Ph" geschrieben). Die meisten - mit Ausnahme des 2.8/180er Sonnars - sind klein und leicht. Das winzige Vorkriegs-Biotar 2/58mm (1936) beispielsweise ist bei f8 an der A900 sichtbar besser als das Zeiss 2.8/24-70mm; bei Offenbelnde sollte man es aber nur an APS-C nutzen (ja, die Biotare waren usrprünglich Kine-Objektive, also ziemlich genau für APS-C gerechnet!!. Speziell gespannt bin isch auf das Biotar 1.5/75 mm (1936) sowie auf das Biogon 4.5/21 mm (1952). Letzteres löst in der Bildmitte > 200 LP/mm auf, in den Ecken immer noch ca. 100 LP/mm - also deulich mehr, als der A900-Sensor fordern würde. Leider kann man es digital kaum nutzen; ich werde also auf Abkömmlinge des Technical Pan und einen guten Rotfilter zurückgreifen müssen ...
Bertele lebte und arbeitete ab ca. 1945 in der Schweiz (ich wuchs wenige km von seinem Wohnort auf), wo er hauptsächlich Superweitwinkel für die Luftbildfotografie rechnete. Ausgehend von Roosinov's bahnbrechender Erkenntis, das sich das Cos4-Gesetz (natürliche Vignettierung) "überlisten" lässt (Wanderleb, der Chefoptiker bei Zeiss, hatte zuvor ein ganze Buch darüber geschrieben und "bewiesen", dass so etwas unmöglich sei), rechnete Bertele für Wild Herbrugg die "Aviogone", die bei bis zu 120° Bildwinkel (entsprechend ca. 12 mm bei Kleinbild) am Grossformat (18x18cm) eine extreme Auflösung hatten (>100 LP/mm in den Bildecken, > 200LP/mm im Zentrum). Zudem waren die Aviogone absolut verzeichnungsfrei (< 10 Mikrometer Abweichung auf dem Filmbild) und vignettierten kaum.
Das alles, wohlgemerkt, erreichte Bertele ohne Computer - aber wohl mit einem sehr feinen Gespür, wie sich Licht und Glas gegenseitig beeinflussen. Die Zeiss Superwide-Biogone (21mm fürs Kleinbild, 38mm für die Hasselblad, 53mm für die Linhof und 75mm fürs Grossformat) waren dann ein vereinfachtes "Abfallprodukt" der zuvor entwickelten Aviogone ...
More 2 follow, für heute reichts.
Gr Steve
BTW: 18 x 18 cm bei ca. 110 LP/mm entspricht einer Pixelzahl von ca. 40'000 x 40'000. Man möge selbst ausrechnen, wieviele MP das sind