Auch ich hätte wohl das Bild von Bence Máté, wo sich Kolibri und Schlange ins Auge sehen, zum Siegerfoto gekürt, aber möglicherweise nur, weil ich nicht den Mut gehabt hätte, einem tieferen Gefühl zu vertrauen und das Besondere des Gepardenbildnisses anzuerkennen, da es in so vielen Punkten den gängigen Sehgewohnheiten nicht entspricht.
Auch unter den anderen Bildern finden sich einige, die mir sehr gut gefallen. Die meisten zeigen die Tiere entweder aus einer ungewohnten Perspektive (unter Wasser, von unten, direkt ins Maul) oder in einer ungewohnten Situation (Schattenriß der fressenden Ratte oder der Hyäne, Hirsch unter Kranichen, Seestern über "Kopf". Oft ist es dieses Ungewohnte, Ungewöhnliche, was ein Foto aus der Masse der anderen Bilder heraushebt und Aufmerksamkeit erzeugt, den Blick fesselt. Aber: Ist das wirklich so neu und einmalig, wie es auf den ersten Blick scheint? Haben wir in unserer reizüberfluteten Welt nicht selbst solch ungewöhnliche Situationen alle schon mal irgendwann so ähnlich gesehen? So erinnert mich die Pattsituation zwischen Kolibri und Schlange zum Beispiel sehr an das Foto von David Maitland, das ineinander verbissene Schlange und Frosch zeigt:
http://www.mi-fo.de/forum/index.php?showto...st&p=236075
Hier wie da stellt man sich als Betrachter die Frage, wie die Sache ausgegangen ist - und diese Neugier erzeugt die Spannung, die solche Bilder zu Siegerkandidaten machen. Effekt. Natürlich kommt sowas in der Natur regelmäßig vor, aber so perfekt arrangiert und belichtet ist es fraglich, ob solche Bilder nicht "gestellt" in dem Sinn sind, daß diese Situationen mit Tricks bewußt herbeigeführt wurden oder ob es sich wirklich um Fotos handelt, bei denen nach langem Ausharren und passivem Beobachten einfach jemand im richtigen Moment am richtigen Ort war und abgedrückt hat. Auf mich wirken beide Fotos, so großartig sie sind, jedenfalls "gestylt", schon zu perfekt. Es sind beides Fotos, die ich mir gerne immer wieder mal anschauen würde (vielleicht gibt es ja inzwischen eine Entscheidung zwischen den beiden Kontrahenten ;-), aber an die Wand hängen würde ich sie mir wahrscheinlich nicht, denn dann hätte ich mich bereits nach ein paar Wochen daran sattgesehen. In letzter Konsequenz lassen sie mich "kalt", alles, was die Situation ausmacht, ist auf dem Bild bereits zu sehen. Die Phantasie wird höchstens auf eine sehr oberflächliche, grobe, sensationslüsternde und vielleicht auch blutdürstige Art und Weise angesprochen: Wer wird überleben?
Ich finde, daß das Gepardenbild von Britta Jaschinski etwas an sich hat, das sich durch den fragenden, verstörten, fast ängstlich wirkenden Blick der Gepardin dauerhaft ins Gedächtnis einprägt und dieses Bild durchaus auszeichnet. Was es ist, ist schwer zu sagen, denn das Bild ist weder durchgängig scharf noch nach den gängigen Kompositionsregeln komponiert. Es ist nicht "bunt" und "knallt" nicht. Es wirkt wie ein flüchtiger, schon fast lakonischer Schnappschuß. Das Geheimnis des Bildes erschließt sich nicht so einfach, selbst mit Kenntnis der Bildunterschrift bleibt immer noch ein genügendes Maß an "Mystik" übrig. Subtile Authentizität und trotzdem abstrakt. Mehr Struktur, mehr Schema als einfaches Abbild der Wirklichkeit. Für mich ist es das, was das Bild viel nachhaltiger interessant macht, mich sinnlich anrührt, als die beiden Pattsituationen. In dieses Bild kann man tiefer eintauchen und sich von der Phantasie weitertragen lassen. Es ist nicht alles klar zu sehen, aber es entstehen neue Bilder im Kopf. Wenn man Fotografie als Kunst versteht, bei der mit Licht gemalt wird, dann ist dieses Bild in jedem Fall eher Kunstwerk als ästhetisch gestaltete Dokumentation (Handwerk) wie die anderen beiden.
Vermutlich hätte ich ein solches Bild nicht entsorgt, aber auch nicht bei einem solchen Wettbewerb eingereicht, weil ich davon ausgegangen wäre, daß es ohne den üblichen Punch schon in der Vorrunde ausscheiden würde. Insofern finde ich die Entscheidung der Jury mutig, aber sehr begrüßenswert.
Viele Grüße,
Matthias