Zunächst mal zwei Links zum Projekt "Reise einer Kamera":
http://www.mi-fo.de/forum/index.php?s=&...st&p=225207 (kurze Zusammenfassung aus der jüngeren Zeit)
http://www.mi-fo.de/forum/index.php?s=&...st&p=225983
ZITAt (Steffen Sielaff @ 2008-05-20, 22:38) Ehrlicher Weise muß ich gestehen das ich etwas Hemmungen hatte, zumal es eine Kamera ist die ich nicht kenne, die nicht mir gehört und auch im Rahmen des Projekts je heile und funktionsfähig bleiben soll. Habe mich dann mit einem sehr netten und hilfsbereiten Admin geschrieben (danke matthiaspaul für deine Hilfe und Nerven) und tastete mich so langsam ran.[/quote]
Gern geschehen. :-) Dafür, daß man sich gegenseitig hilft, ist ein Forum doch da.
Überhaupt, was Du schreibst, finde ich rührend und zugleich hilfreich bei der Reflexion über die eigene Wahrnehmung.
Rührend, weil durch die Hände der meisten "alten Hasen" über die Jahre vermutlich soviele Kameras gegangen sind, daß irgendwann diese Ehrfurcht und Vorsicht und Faszination zurückgeht, die einen früher noch überkommen hat, wenn man mal mit "Vaters Spiegelreflex" fotografieren durfte oder seine erste eigene Spiegelreflex - womöglich über Jahre hinweg eisern zusammengespart - in Händen hielt. Und im Digitalzeitalter mit seinen immer kürzeren Produktzyklen verschärft sich das noch. Die meisten schielen, kaum halten sie eine neue Kamera ein paar Monate in den Händen, schon nach dem Nachfolger. Die Spiegelreflexkamera, ein Werkzeug zur Auslebung der eigenen Kreativität und auch selbst technisches Kunstwerk, verkommt zunehmend zum reinen "Konsumgut". Ex und hopp - die nächste Kamera.
Früher wurde eine Spiegelreflexkamera mehr oder weniger fürs Leben angeschafft und hielt in der Regel mindestens einige Jahrzehnte. Auch die Minolta XG-9, die im Rahmen unseres Projekts nun schon seit mehreren Jahren reihum geht, hat jetzt schon fast 30 Jahre auf dem Buckel und funktioniert vermutlich immer noch (fast) wie am ersten Tag. Vom Alter her gehört sie eigentlich eher noch zu den jüngeren Repräsentanten des Minolta-SR-Systems, denn die erste Kamera für dieses System, die SR-2, brachte Minolta bereits vor fünfzig Jahren auf den Markt. Die XG-9 besitzt - u.a. durch den Einsatz von Kunststoff - bei weitem nicht mehr die solide Wertanmutung von Kameras der XD-, XE- oder gar SR-T-Baureihen. Trotzdem scheint sie, wenn man sie - wie Du - mit unverbrauchten Augen betrachtet, wohl immer noch genügend Begeisterungspotential zu besitzen. Paß nur auf, daß das nicht zur Sucht wird, Du wärest jedenfalls nicht der Erste... ;-)
Prima jedenfalls, daß es auch heute noch Leute gibt, die für alte Technik einen offenen Blick haben und ihren Stellenwert als Werkzeuge zum Fotografieren unabhängig vom heutigen Stand der Technik und den aktuellen Gebrauchtpreisen begreifen können.
Interessant finde ich auch Deine Schilderung des Eindrucks, den der Sucher der Kamera auf Dich gemacht hat. Dabei besitzt die XG-9 eigentlich keinerlei Extras gegenüber anderen Vertretern ihrer Gattung und Zeit. Wie wirkt eine Einstellscheibe mit Schnittbildindikator und Mikroprismenring also auf jemand, der bisher nur AF-SLRs kannte und von daher diese Technik noch nie vorher gesehen hat?
In Deinem Fall war es wohl ein richtiges "Wow!"-Erlebnis. Wenn Du bisher nur die winzigen Sucher von APS-C-DSLRs kanntest, beeindruckt natürlich zunächst mal schon die Größe des Sucherbildes. Ein Grund, warum es viele Leute gibt, die unbedingt eine Vollformat-DSLR haben wollen.
Der Sucher der XG-9 bietet auch sonst keinen Komfort, weder zeigt er 100% des Filmfeldes, noch handelt es sich um einen sog. High-Eyepoint-Sucher, d.h. einen, bei dem man auch noch aus einem gewissen Abstand (z.B. mit Brille) das komplette Bild ohne "Herumrutschen" des Auges erfassen kann, noch besitzt der Sucher einen eingebauten Dioptrienausgleich. Alles Dinge, die z.B. der 100%-Sucher einer Dynax 9 erfüllt - der liefert selbst für Leute, die andere Kleinbild-AF-SLRs kennen, noch oft genug ein "Aha"-Erlebnis. Das schmälert aber nicht den Eindruck des qualitativen Unterschied, den schon der eigentlich spartanische Sucher der XG-9 gegenüber dem Sucher einer heutigen APS-C-DSLR hinterläßt.
ZITATDabei muß ich gestehen das der Sucher mich mehr als fasziniert hat. Wie das technisch heißt und warum das so ist ist mir egal, find das allerdings so was von genial das man das hier gar nicht wieder geben kann. Ich denke mal die Leute die mit so einer Kamera arbeiten oder gearbeitet haben wissen was ich meine. Und als ich gehört habe das die Technik der XG-9 doch schon recht alt ist verwundert es mich doch das Minolta da nicht weiter dran gearbeitet hat. Bin echt gegeistert, weiß aber nicht wie ich das erklären soll.[/quote]
Es ist wirklich (im Positiven) aufschlußreich, von jemand, der sowas bisher nicht kannte, zu hören, daß er eine Einstellscheibe mit Schnittbildkeil und Mikroprismenring sofort als nützlich begreift. Offenbar vermissen viele jüngere Nutzer von AF-SLRs solche Einstellscheiben deshalb nicht, weil sie sie überhaupt nicht mehr kennen.
Es bleibt mir unbegreiflich, wieso die Hersteller heutiger Kameras solche Einstellscheiben nicht wenigstens als Sonderzubehör anbieten; ich denke, daß sie sich mindestens so gut verkaufen würden, wie die Gittermattscheiben (Typ L - "LINES" - oder ML - "MANUAL / LINES". Sie wären auch nicht teurer oder komplizierter in der Herstellung. Die einzige AF-SLR mit A-Bajonett, für die es regulär eine solche Mattscheibe gab, war die Minolta 9000 AF (Typ PM - "SPLIT PRISM / MANUAL". Diese Mattscheibe paßt auch in die Minolta 7000 AF. Für verschiedene DSLRs gibt es Einstellscheiben von verschiedenen "Garagenfirmen" - dabei handelt es sich vermutlich um passend gefräste Mattscheiben älterer Kameras - das funktioniert natürlich nur deshalb, weil APS-C-Kameras viel kleinere Mattscheiben benötigen als Vollformat-Kameras. Es bleibt zu hoffen, daß Sony diesen immer wieder geäußerten Wunsch der Anwender erhört und solche Einstellscheiben in Zukunft wieder offiziell anbietet - dann könnte auch der Belichtungsmesser darauf abgestimmt werden, so daß es nicht zu Problemen mit der Belichtungsmessung kommt, wie das oft bei den Einstellscheiben von Fremdanbietern der Fall ist.
ZITATAlso ich bin fasziniert, wünsche jedem hier im Forum der das nicht kennt das mal auszuprobieren (einfach beim dem Projekt anmelden, allein die Kamera mal zu halten lohnt das ganze schon) und mal durch den Sucher schauen, ist der absolute Wahnsinn.[/quote]
Danke für diesen Aufruf. Im Rahmen des Projekts habt ihr in jedem Fall die Möglichkeit dazu. Und Angst braucht vor der alten Technik auch niemand zu haben. Das ist mindestens so einfach und logisch zu bedienen, wie bei heutigen Kameras. Und außerdem gibt es hier im Forum ja auch jede nur erdenkliche Hilfe.
Ansonsten einfach mal zu einem Fotohändler mit Gebrauchttheke gehen. Praktisch alle Spiegelreflexkameras ohne Autofokus besitzen solche Einstellscheiben mit Schnittbildindikator und Mikroprismenring. Minolta-Einstellscheiben waren zwar aufgrund der sog. "Acute Matte"-Technik (erhältlich ab 1977 mit der XD-Serie, entwickelt ab ca. 1973) besonders gut, so gut, daß selbst Hasselblad die Mattscheiben für ihre Kameras von Minolta bezogen hat, aber davon abgesehen hatten auch die Mattscheiben anderer Hersteller solche Einstellhilfen. Das war bis zum Aufkommen der AF-SLRs (1986) einfach völlig normal.
Meist ist der Schnittbildkeil horizontal angeordnet, aber es gibt auch Scheiben, bei denen er diagonal verläuft. Es gibt sogar Ausführungen mit Tripelkeil oder (angeblich - habe ich selbst noch nicht gesehen) Kreuzkeil. Daneben existieren Einstellscheiben, die für bestimmte Lichtstärken optimiert sind - unterhalb bestimmter Objektivlichtstärken kommt es damit zu Abschattungen eines oder beider Keile, dafür ist aber die Einstellgenauigkeit bei den anderen Lichtstärken höher. Wie auch immer, damit man über den Keil scharfstellen kann, braucht man eine Kontrastkante im Motiv. Dann gelingt das sehr einfach und schnell, indem man die beiden Teilbilder in Deckung bringt. (Aus Anwendersicht ähnlich funktionieren übrigens auch die sog. Mischbildentfernungsmesser von Meßsucherkameras - auch heute noch -, konstruktiv arbeiten sie aber etwas anders.)
Es gibt auch Motive, wo der Schnittbildkeil nicht weiterhilft. Dazu zählen kontrastschwache Motive wie z.B. eine weiße Wand. Dann findet man in den beiden Häften des Keils einfach keine "verwertbare" Kontrastkante mehr. Ebenso bereiten auch Motive mit regelmäßigen Strukturen Probleme. Hier weiß man nicht, auf welche der vielen ähnlich aussehenden Kontrastkanten man scharfstellen soll.
In beiden Fällen hilft die Betrachtung der Mattfläche drumherum. Die ist bei den alten Kameras absichtlich etwas gröber und dunkler, da man darauf viel besser visuell die Schärfe beurteilen kann, als auf den extrem hellen Einstellscheiben (eben nicht mehr "Matt"scheiben) heutiger AF-SLRs. Die heutigen Mattscheiben der M ("MANUAL"- und ML ("MANUAL / LINES"-Typen sind damit vergleichbar, in jedem Fall also schon mal eine deutliche Verbesserung gegenüber der serienmäßgen Einstellscheibe vom Typ G ("GENERAL".
Aber hier kommt bei den alten SLRs auch der Mikroprismenring ins Spiel, denn damit gelingt die Scharfstellung auch auf konstrastschwache Motive wie die oben vorgebrachte weiße Wand, sofern sie noch irgendwelche Minimalstrukturen besitzt (Poren, Fasern). Solange die Kamera nicht scharfgestellt ist, flimmert es in diesem Mikroprismenring schon bei leichten Verschiebungen der Kamera (etwa verursacht durch das natürliche Zittern der Hand) und hinterläßt ein unruhiges, "pixeliges" Bild. Aber in dem Moment, wo scharfgestellt ist, wird das Feld plötzlich ganz ruhig und durchsichtig. So läßt sich also auch in solchen Fällen sehr gut die optimale Schärfe finden.
Für bestimmte Bereiche der Fotografie gibt es neben den oben genannten drei gängigen Methoden der manuellen Scharfstellung (auf Mattfläche, auf Schnittbildkeil, auf Mikroprismenfeld) noch andere Scharfstellmethoden. In der Mikro- und Astrofotografie etwa sind manchmal Einstellscheiben mit Klarfleck (Typ C - "CLEAR" und Doppelfadenkreuz (Typ H - "HAIRS" nützlich. Aber sowas gibt es für heutige AF-SLRs auch nicht mehr (Ausnahme: Minolta 9000 AF).
Hier noch ein Artikel über solche Mattscheiben und wie man damit fokussiert:
http://www.mi-fo.de/forum/index.php?s=&...st&p=201331
In gewisser Weise kann man den Autofokus, wie er in heutigen AF-SLRs zum Einsatz kommt, als Weiterentwicklung des Schnittbildkeils betrachten. Denn beide arbeiten nach dem gleichen grundsätzlichen Funktionsprinzip, haben deshalb auch die gleichen (oben ausgeführten) Einschränkungen.
In der ersten Generation der AF-Gehäuse gab es im Sucher auch noch drei Leuchtdioden, die eine Art Schärfewaage ("Tunoscope" bildeten:
|> O <|
Die beiden LEDs außen waren als Pfeile ausgeformt und leuchteten rot, die mittlere LED hingegen rund und grün. Die Pfeile zeigten dann bei manueller Fokussierung an, in welche Richtung der Fotograf den Entfernungseinstellring drehen mußte. Leider wurde auch diese Schärfewaage bei späteren Kameras wegoptimiert und durch das bekannte "Bremsensymbol"
( O )
ohne Richtungsinformation ersetzt. Auch hier würde ich mir eine Rückkehr zur Lösung mit drei LEDs wünschen, aber es ist unwahrscheinlich, daß dies passieren wird.
Viele Grüße,
Matthias
PS. Für eine Übersicht über die verschiedenen Einstellscheiben, die es für Minolta-SLRs gab und gibt, siehe hier:
http://www.mi-fo.de/forum/index.php?s=&...ost&p=82850