Ich habe damals diesen Thread durchaus mit Interesse verfolgt - da aber nicht viel Substanzielles rauskam, auch wieder vergessen. Seit einiger Zeit - genauer seit dem letzten August - Steht bei mir ein Biotar 7.5 cm 1:1.5 herum, in der schönsten "mittleren" Variante, die zwischen 1947 und 1953 produziert wurde. Sie ist deutlich seltener, und zudem wesentlich leichter als das spätere "Berg-und-Tal-Biotar", aber weniger exotisch als die "Kriegsbiotare", von denen nur 1000 Stück produziert wurden.
Jede dieser drei Varianten wurde mit verschiedenen Anschlüssen gebaut; ich habe eine M42-Variante, die sich natürlich bestens an dei A900 adaptieren lässt. Das Objektiv, das ich in Ostdeutschland zu einem - na ja - saftigen Preis erwarb, wurde anschliessend von der Feinmechanischen Werkstätte Peter Olbrich in Görlitz komplett zerlegt, gereinigt, zentriert und justiert. Man kann also davon ausgehen, dass es in einem "vernünftigen" Zustand ist.
Die Optik ist - im Gegensatz etwa zum Olympia-Sonnar 2.8/180mm oder zu den Sonnaren 3.5/135mm und 4/135mm - an der A900 nur eingeschränkt zu gebrauchen. Das will aber keinesfalls heissen, dass es nicht zu gebrauchen ist - ganz im Gegenteil! Man muss halt einfach wissen, was die Linse kann - und was nicht.
Die Brennweite von 75mm und das geringe Gewicht von 395g empfinde ich als sehr angenehm; gerade bei Portraits wirkt das Biotar 1.5/75mm weniger wuchtig/"abschreckend" auf die Portraitierten als etwa die 1.4/85er von Sony/Minolta. Die Detailauflösung im Zentrum ist bei f1.5 ganz passabel (auf ähnlichem Level wie beim MinAF 1.4/85mm), der Kontrast allerdings sehr flau. Und sobald man einige Millimeter aus dem Zentrum "rausgeht", sackt die Auflösung ab - gegen den Bildrand auf durchaus erbämliche Werte. Die Vignettierung ist bei Offenblende stark ausgeprägt, und die Hintergrund-Unschärfe (Bokeh) - punktförmige Lichtquellen vorausgesetzt - etwas "crazy": nicht nur unruhig, sondern auch tunnelförmig wirkend. Das alles kann eine Portraitaitaufnahme natürlich komplett ruinieren, wenn man nicht aufpasst - es kann aber auch wirkungsvoll zur "Zentrierung" des Motivs eingesetzt werden.
Wenig bekannt ist die Tatsache, dass die Vordergrund-Unschärfe des Biotar 1.5/75mm absolut crémig und schlicht exzellent ist, eine Tatsache, die sich bei sphärisch unterkorrigierten Objektiven aus den optischen Gesetzen ergibt.
Bei leichter Abblendung auf f2.0 steigt vornehmlich der Mikrokontrast im Bildzentrum, die Vignettierung und das "swirling bokeh" reduzieren sich. Die Randunschärfen hingegen bleiben, wie sie sind: Übermässig. Erst bei f2.8 tritt diesbezüglich eine deutliche Besserung auf. Bei f5.6 - f8 hat das Objektiv eine exzellente Detailauflösung bis in die äussersten Vollformat-Ecken. Zudem sind dann schlicht keine CAs mehr sichtbar (im Gegensatz etwa zum MinAF 1.4/85mm). Die Linse würde sich demnach gut für "JPG-Shooters" eignen - wäre da nicht der deutliche gelbe Farbstich, der auf gewisse höchstbrechende und niedrig dispergierende Gläser zurückzuführen ist. Ähnliche (nicht radioaktive!! Gläser kamen beispielsweise auch im Leitz Noctilux 1:1.0 / 50mm von 1975 oder im Rokkor 1.2/58mm zur Anwendung. Der Farbstich lässt sich bei DSLRs weitgehend korrigieren, angenehm ist er aber nicht.
Vergleicht man das Zeiss (Jena) Biotar 1.5/75mm mit dem Zeiss (Oberkochen) Sonnar 2/85mm, so fällt einem als erstes die praktisch gleiche Grösse und das fast identische Gewicht auf. Das Sonnar vignettiert bei f2 etwa gleichstark wie das Biotar, aber zumindest an der NEX-5N (16 MP APS-C) hat das Sonnar bezüglich Randschärfe die Nase weit vorne. Abgeblendet verschwinden dann die Unterschiede.
Soviel zum Technischen. Das Handling des Biotar 1.5/75mm an der A900 ist recht angenehm, jedenfalls deutlich weniger kopflastig als die 1.4/85er. Die - selbstverständlich manuelle - Scharfeinstellung hingegen erfordert ohne Schnittbildindikator einiges an Übung. Inzwischen bekomme ich die meisten Portraits auch bei Offenblende auf Anhieb "punktscharf" hin - aber nur, wenn man das Motiv genau mittig im Bild platziert. Schon eine leicht asymmetrische Platzierung bringt es aber mit sich, dass man nicht mehr scharf einstellen kann: Die Abbildungsfehler (v. a. starker Astigmatismus) lassen es schlicht nicht zu, die Schärfe zu definieren. Deswegen - und wegen des besseren Bokehs - darf man durchaus auch f2 nutzen, denn die Hintergrundunschärfe ist bei f2 immer noch genügend. Das soll fürs erste mal genügen
Gr Steve
Hier im Anhang aus akuellem Anlass ein Bild des Biotar 7.5 cm 1:1.5 an einer Contax S . Die Contax S (noch ohne "D" oder gar "VEB" ist ein Meisterwerk der Feinmechanik - und sie war um 1949 deutlich teurer als eine Leica III.