RE: Fotografie und Fotokunst?

#1 von VoodooBembel ( gelöscht ) , 31.10.2005 23:02

Hallo Leute,

nachdem ich, nach vielen Jahren der Abstinenz mich wieder ernsthafter mit der Fotografie befasse gibt es eine Sache die mich wirklich beschäftigt. Ich habe mir in den letzten Monaten einige Fachmagazine gekauft und Diverse Internetseiten besucht. Dabei ist mir Aufgefallen das bei immer mehr "Fotografie Wettbewerben" Klassische Fotos mit "Digitale Kunst" Konkurrieren müssen und dabei den Kürzeren ziehen.

Ich Rede nicht vom nachbearbeiten eins Fotos bei dem der Fotograf Unter- oder Überbelichtung korrigiert, der Schärfe etwas nachhilft oder auch mal der Farbe des Himmels oder Hintergrundes einen satteren ton gibt, einem Bild einen Rahmen verpasst um das Motiv zu betonen oder den Finger wegretuschiert der gerade mal wieder vor die Linse gerutscht ist. /biggrin.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="biggrin.gif" /> Das ist ja einer der großen Vorteile der Digitalen Fotografie den ich auch nicht missen möchte und weswegen ich mich Entschlossen hatte mir eine DSLR zu kaufen. Bei all den oben genanten Manipulationen bleibt das eigentliche Motiv erhalten, die Sicht des Fotografen ist für den Betrachter nachvollziehbar denn er kann sehen was der Fotograf gesehen hat und es nachvollziehen.

Ich meine Fotos die mittels EBV so verändert werden das sie mit der Klassischen Fotografie nichts oder nur noch wenig zu tun haben. Hier werden Bilder mit Effekten versehen die Fototechnisch nicht zu Realisieren sind. Mittelmäßige Motive werden durch hinzufügen und Verfremden zu "großer Fotografie" gepuscht. Das eigentliche Kreative des Fotografierens ist
nur noch Nebensache.

Ich Akzeptiere das als eigene Kunstform und bin zum Teil begeistert von der Kreativität der Leute die solche Werke schaffen aber für mich ist es keine Fotografie im eigentlichen Sinn mehr. Deswegen habe ich auch ein Problem damit das solche "Kunstwerke" mit "Normalen" Fotografien in Wettbewerben Konkurrieren.

Sicherlich hat schon jeder der mit einer EBV-Software arbeitet, mich eingeschlossen, auch damit herumexperimentiert und das ein oder andere "Kunstwerk" Produziert. Das ist tolle Sache und es sind auch richtig gute Dinge dabei heraus gekommen. Für mich ist das aber mehr Spielerei mit der man einem Freund eine Freude macht.

Es war und ist für mich immer wieder eine Große Freude mir die Arbeiten guter Fotografen (egal ob Profi oder Amateur) anzusehen die mir mal wieder zeigen das jeder Mensch eine eigene Sicht auf die Dinge und das Leben hat. Ich kann hier die Welt durch die Augen eines anderen Menschen sehen, Welten Entdecken die mir bisher entgangen sind und das finde ich einfach nur Grosartig. Daraus ziehe ich Inspiration und Ansporn für mich und es hilft mir mich Fotografisch weiter zu entwickeln, neues zu Probieren, es "anders" zu sehen, meinen kleinen Horizont zu verlassen und eigene Kreativität zu entwickeln.

Mich würde mal Interessieren wie andere Leute das so sehen. Bin ich zu Engstirnig wenn ich dafür Plädiere das man hier, zumindest bei Wettbewerben, den Leserfotoseiten der Magazine oder Fotogalerien eine Grenze zieht und es in verschieden Kategorien bewertet oder geht es anderen genauso wie mir.

Gruß und Prost,
Frank



VoodooBembel

RE: Fotografie und Fotokunst?

#2 von co2 , 31.10.2005 23:29

Es dürfte schwierig bis unmöglich sein eine Grenze zwischen 'zulässiger' und 'unzlässiger' Manipulation zu ziehen und vor allem entsprechende Manipulationen zuverlässig zu erkennen.

Es steht doch ein Bild einem Bild gegenüber, ein Foto einem Bild, das aussieht wie ein Foto. Der Entstehungsprozess ist zwar nicht der selbe, doch die Ergebnisse scheinen sich durchaus vergleichen zu lassen (im Gegensatz zu Picasso-Knippsbild). Warum sollte man Vergleichbares nicht vergleichen?



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RE: Fotografie und Fotokunst?

#3 von chilperich , 01.11.2005 00:17

Auch ich sehe die Schwierigkeit sauber zwischen der noch erlaubten und der unzulässigen Manipulation zu trennen.

Grundsätzlich bin ich aber auch der Meinung, dass man die extrem manipulierten Bilder besser in eigenen Kategorien hält und nicht mit "normaler Fotografie" vermischt. Sie sind einfach nicht mit den üblichen Mitteln der Fotografie erschaffen, sondern mit ganz anderen. Realität sollten man von reiner Fiktion etwas getrennt halten. Mir ist bewußt, dass normale Fotografie nicht gleichbedeutend mit Realität und edv-bestimmte Computerkunst nicht gleich Fiktion ist; es bestehen aber trotzdem klare graduelle Unterschiede.

Der Teufel steckt im Detail. Mich stört es manchmal schon, wenn der Himmel komplett in einem Bild ausgetauscht wird, weil er nicht schön genug war. Der wird dann mit einem besonders hübschen 08/15-Himmel oder einem besonders dramatischen Himmel vertauscht. Unter dem Himmel befindet sich dann ein ehemals hübsches Model, dem die Haut transplantiert und weichgespült wurde, weil bei 200%-Ansicht eine Hautunreinheit entdeckt wurde. Dann wurde noch die Nase etwas gestrafft und ein paar störende Elemente im Bildhintergrund weggestempelt und fertig ist das Bild, das mir nicht mehr gefällt. Oder es geht gerade noch, wenn all die Änderungen nur völlig minimal sind, so z.B. der Himmel sowieso nur 10 % des Bildes ausmacht und die Hautänderung moderat ausfiel ... Wo ist die Grenze?

Manchmal ist die Grenze jedoch eindeutig überschritten. Dann gehört das Bild auch in eine eigene Kategorie, soll gekennzeichnet werden und nur mit seinesgleichen bewertet werden. Zum Glück fallen die extrem veränderten Bilder häufig im negativen Sinn auf. Auch wenn die einzelnen Manipulationen dem Betrachter nicht bewusst werden, so wirkt das Bild irgendwie künstlich, plastikhaft oder man wird das Gefühl nicht los, als stimme da etwas nicht. Das Gehirn ist da vielleicht fähiger als man vermutet.

Gruß, Peter



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RE: Fotografie und Fotokunst?

#4 von VoodooBembel ( gelöscht ) , 01.11.2005 10:59

@co2

Hallo co2,

ich habe mich vielleicht nicht Präzise genug ausgedrückt. Mir ist vollkommen klar das viele Manipulationen nicht oder nur sehr, sehr Schwer zu sehen sind. Die komplette Werbeindustrie könnte ohne solche Mittel die Kosten gar nicht mehr in den Griff bekommen. Hier, und da hast du vollkommen Recht, sind die Grenzen fliesend. Um diese art der Veränderung geht es mir aber nicht einmal.

Hier 3 Beispiele (hab ich gerade Griffbereit):

1. Chip Foto-Video Nr. 09.2005 Seite 6, "Foto des Monats":
Schön groß aufgezogen und im Empfang einer Catering Firma macht das bestimmt was her.

2. Computer Foto Nr. 09.2005 Seite 102 "Leserfoto des Monats"
Mit diesem Filter hab ich vor 5 Jahren schon mal gearbeitet.

3. Fotoheft Nr. 11.2005 Seite 31, "Leserwettbewerb"
Da ist doch keine einzige "Echte" Fotografie dabei.

usw., usw. …..

Das sind die Bilder bei denen ich von "Fotokunst" Spreche. Hier geht es um den Effekt und nicht um das Motiv.


Gruß,
Frank



VoodooBembel

RE: Fotografie und Fotokunst?

#5 von co2 , 01.11.2005 11:28

@VoodooBembel:

leider kann ich die Beispiele nicht beurteilen, da ich nicht über die entsprechenden Zeitschriften verfüge und sie mir wahrscheinlich auch nicht beschaffen werde, auf scan und Publikation im Internet würde ich trotzdem aus urheberrechtlichen Gründen verzichten.

Was ich sagen will, ist ein Bild mit einigermassen fotoähnlichem Erscheinungsbild bei Fotowettbewerben mitspielen dürfen sollte, vor allem wenn zumindest Teile davon auf fotografischem Weg entstanden sind. Korrigierend kann man allenfalls bei den Bewertungskriterien eingreifen, so dass Fotos aufgrund der Kriterien einen Vorteil haben.

Darüber hinaus halte ich ein Beharren auf den 'korrekten' Entstehungsprozess des Bildes für formalistisch, Manipulationen z.B. über Mehrfachbelichtungen halte ich nicht für ehrlicher als eine Kombination von mehreren Bildern im Bildbearbeitungsprogramm.

Theoretisch könnte auch jemand in einem 3D Visualisierungsprogramm eine Kamera 1:1 simulieren und ein 'Foto' eines, per Laserscanner erstellten, detailierten Modells erstellen und dieses 'unbearbeitet' bei einem Wettbewerb einsenden, ist dieses 'Foto' nun mehr oder weniger Foto als ein Bild, das aus 5 verschiedenen Bildern zusammengesetzt wurde um den Dynamikumfang des Aufnahmemediums zu erhöhen?



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RE: Fotografie und Fotokunst?

#6 von damn ed ( gelöscht ) , 01.11.2005 12:41

Hallo Frank,

als erstes muss man sich über eines einig sein.

Wann ist Fotografie Fotografie? Ist sie es noch, wenn sie digital arbeitet? Es gibt sicherlich Stimmen die sagen in diesem Falle "Nein".

Ich will damit nur zeigen wie schwer es ist ein Ergebnis, nämlich in diesem Falle das Bild, auf Grund seines technischen Werdegangs zu bewerten. Was zählt ist das Ergebnis. Ein, wie Du es nennst "mittelmäßiges Motiv" dient möglicherweise nur als "Rohling". Die Idee ist und bleibt entscheidend. Wenn man die Möglichkeiten hat durch weitere Kenntnisse, z.B. elektronische Bildbearbeitung, der inneren Vorstellung näher zu kommen dann ist das, meines Erachtens nach, völlig in Ordnung.

Ich denke die Fotografie hat sich durch digitale Möglichkeiten erweitert und das ist nicht "unzulässig" oder "ehrenrührig". Es gibt dem Künstler vielmehr die Möglichkeit seine Vorstellung möglicherweise exakter umzusetzen. Aber eben nur möglicherweise. Die reine Tatsache der elektronischen Bildbearbeitung ist noch keine Gewähr für irgend etwas.

"Du kannst aus einem Schwein ein schnelles Schwein machen, aber kein Rennpferd."

Und so wie man die Fotografie beherrschen muss, muss man auch die digitale Nachbearbeitung behrrschen. Das ist nicht "einfacher", das ist einfach eine weitere Fähigkeit, ebenso wie das Arbeiten in der eigenen Dunkelkammer es war und weiterhin ist.

Die Mittel bestimmen nicht die Qualität eines Bildes sondern die Idee und die künstlerische Umsetzung.

Man sollte sich beim Betrachten eines Bildes davon lösen sich zu fragen "Wie ist das gemacht?". Wenn man spürt, dass dieses Bild einem etwas sagt und es einen vielleicht auch inspiriert für die eigene Arbeit, sollte man es als Herausforderung betrachten. Wenn dazu die Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung absolut nötig sind hat man nur die Möglichkeit sie zu erlernen. Aber sie zu "verteufeln" oder ausschließen zu wollen bringt letztlich nichts, ausser Beschränkung.

Viele Grüße
Marco



damn ed

RE: Fotografie und Fotokunst?

#7 von VoodooBembel ( gelöscht ) , 01.11.2005 13:42

@damn_ed

Um Gottes Willen, hier bin ich jetzt gründlich Missverstanden worden oder habe mich völlig Falsch Ausgedrückt.

Ich will weder Verteufeln noch in irgendeiner Form Ausgrenzen. Mir geht es Ausschließlich um Differenzierung. Jeder sollte sich so Kreativ Äußern wie er es möchte oder wie er es kann.

Ein Beispiel aus der Mitgliedergalerie: Im Moment sind auf der Portalseite neuer Userfotos zu sehen, darunter dieses: Mitgliedergalerie .

Super, Klasse, einfach nur gut. Meine ich wirklich. Die Idee ist gut, die Ausführung ist gut. Hier wurde die EBV dazu benutzt einem Motiv den Letzten Kick zu geben. Das wichtigste daran ist aber das es sich immer noch um dasselbe Motiv handelt das der Fotograf durch den Sucher seiner Kamera Anvisiert hat. Ich kann immer noch sehen was er gesehen hat. Hier wurde meines Erachtens nach die gestalterische Freiheit zu Wohle des Motivs eingesetzt

Aber wie sieht es den zum Beispiel mit Collagen aus? Das zusammenpappen von Bildfragmenten zu einer Einheit, einem Gesamtkunstwerk ist genauso ein Kreativer Akt wie die Gestaltung eines Fotos (ob ich das Verstehe oder nicht ist hier Nebensächlich). Es ist Kunst. Das Akzeptiere ich und Bewundere es auch.

Aber, und hier kommt bei mir der Knackpunkt, ist es noch Fotografie?
Es geht mir nicht darum etwas was ich selbst nicht kann oder will herabzuwürdigen. Ganz im Gegenteil. Hier fallen Mauern und bieten sich Möglichkeiten die es einem jeden erlauben seine eigenen Vorstellungen auf einer ganz anderen Ebene zu Realisieren. Das ist Toll.
Ich möchte es eben nur im richtigen Zusammenhang bewertet sehen.

Fotografie oder Fotokunst?

Die Möglichkeiten die eine EBV Software bietet sind Fantastisch und das Schöne daran ist das sie "jeder" Nutzen kann. Die Technik ist Bezahlbar und die Software auch. Alles andere ist, wie du schon sagtest, Lernsache und Kreative Gestaltung. Ich benutze ja selbst Diverse Grafikprogramme um meine Bilder nachzubearbeiten. Ich will doch niemandem die Möglichkeiten nehmen oder absprechen sich nach eigenem Gusto Kreativ zu betätigen.


Ich hoffe dass ich mich jetzt etwas Klarer Ausgedrückt habe.

Gruß,
Frank

P.S. Den mit dem "Rennschwein" fand ich ziemlich gut. /good.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="good.gif" />



VoodooBembel

RE: Fotografie und Fotokunst?

#8 von AlexDragon ( Gast ) , 01.11.2005 13:54

Hallo,

also meine Meinung dazu ist: Das man einfach eben seinen Horizont erweitern muß und das auch die digitale Verfremdung mit zur Fotografie gehört, welche eben eine dynamische Sache ist, die sich mit den neuen Technologien eben immer weiter fort entwickelt und daran ist auch nichts schlechtes. Klassik vs. Moderne gibts in jeder Art von Kunst und ist auch akzeptiert und Fotografie ist eben auch Kunst!
Und letzlich zählt doch nur das Ergebnis! Und wie heisst es doch so schön: beauty belongs to the eye of the beholder - Schönheit liegt im Auge des Betrachters /good.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="good.gif" />

LG

Alex /smile.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="smile.gif" />

Und ich denke mal, dass man dieses Thema auch bis Pontius Pilatus weiter spinnen könnte, oder vielleicht hier auch geschehen wird. Denn es gibt sicher auch tausend versch. Meinungen zu dem Thema /wink.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="wink.gif" /> Ändert aber nichts an den Fakten!



AlexDragon

RE: Fotografie und Fotokunst?

#9 von VoodooBembel ( gelöscht ) , 01.11.2005 14:03

Zitat von AlexDragon
Alex /smile.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="smile.gif" />

Und ich denke mal, dass man dieses Thema auch bis Pontius Pilatus weiter spinnen könnte, oder vielleicht hier auch geschehen wird. Denn es gibt sicher auch tausend versch. Meinungen zu dem Thema  /wink.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="wink.gif" /> Ändert aber nicht an  den Fakten!


Wie mir bei uns in Hesse immer saache: Wen de recht hast haste recht. Lasse mers dabei. /biggrin.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="biggrin.gif" />

Gruß,
Frank



VoodooBembel

RE: Fotografie und Fotokunst?

#10 von damn ed ( gelöscht ) , 01.11.2005 14:11

hallo frank,

Nein nein, du bist nicht missverstanden worden.

Fotokunst ist ein Bereich der Fotografie, den es auch schon immer gab, solange es Fotografie gibt. Auch ManRay gilt als Fotograf, aber auch als Fotokünstler. Manche seiner Bilder sind primär Fotografien manche primär Collagen, Mehrfachbelichtungen, Solarisationen etc.

Das von Dir angeführte Beispielbild zeigt eine Schwarzweiss-Variante mit einem blauen "Tupfer" dessen, was der Fotograf durch den Sucher gesehen hat. Du siehst also nicht das, was er durch den Sucher gesehen hat, sondern was er daraus gemacht hat. Also wäre auch das, streng genommen schon Fotokunst.

Bei Collagen sind wir uns einig und das sind auch früher schon Fotocollagen gewesen. z.B. Klaus Staeck war nie in erster Linie Fotograf sondern Collagist obgleich er mit Fotos gearbeitet hat.

Und in dem Fall, dass ein Bild so collagiert ist, dass der Anschein erweckt werden soll, es sei keine Collage und sich als Fotografie "ausgibt", da bin ich auch bei Dir, das sollte auch als Collage klassifiziert werden.

Was bleibt?
"Talking about art is like dancing about architecture" und "Interpetation ist die Rache des Intellekts an der Kunst"


Viele Grüße
Marco



damn ed

RE: Fotografie und Fotokunst?

#11 von matthiaspaul , 01.11.2005 15:08

Jetzt haben schon zwei Leute gesagt, nur das Ergebnis zählt.

Also für mich gilt das /so/ nicht. Das Ergebnis ist sehr wichtig, aber für
mich spielt auch der Schaffensprozess (also der Weg dahin) eine nicht zu
unterschätzende Rolle. Das ist sicherlich auch mit Grund, warum ich nach
wie vor ausschließlich analog fotografiere.
Mit jedem Druck auf den Auslöser "schaffe" ich ein Unikat. Wenn ich mir vorher
genug Mühe gegeben habe, wird mit etwas Glück aus dem Unikat auch etwas,
das eine gewisse Substanz hat - bei analoger Fotografie noch etwas richtig
Handgreifliches wie ein Dia.
Der Wert liegt für mich nicht nur darin, einfach ein interessantes Motiv abzubilden,
so wie ich es sehe, sondern durchaus auch darin, die Gedanken, die dahin führten,
entsprechend den Regeln der Fotografie technisch wie künstlerisch zu kanalisieren,
mental die Hemmschwelle zu überwinden, (hoffentlich nicht) nur ein Stück Müll
(materiell wie immateriell) zu produzieren und das auch noch unzweifelhaft auf
Celluloid dokumentiert zu wissen, Gewißheit darüber zu bekommen, daß das
innere Gefühl doch stimmt, und dann das Ganze im richtigen Moment auf den
Punkt zu bringen, sprich den Auslöser zu drücken. Das ist einerseits Handwerk
in Vollendung, anderseits aber auch fine arts.
Das ist für mich Teil dessen, was den besonderen Reiz der Fotografie ausmacht.
Und dadurch, daß bei digitaler Fotografie kein physisches Bild geschaffen
wird, Ausschuß keinerlei Folgen hat und man die Bilder viel leichter retuschieren,
sprich manipulieren kann, reizt mich die digitale Fotografie außer für besondere
Einsatzzwecke (schnelle Dokumentation, Kameras an ungewöhnlichen Orten,
IR-Fotografie) nicht wirklich. Ein empfindliches Dia in der Hand zu halten, hat
eine ganz andere "Anfaßqualität" als eine CF-Speicherkarte...

Natürlich kann man auch digital "richtig" fotografieren, nur erzeugt man eben
kein unveränderliches Unikat mehr, sondern eine RAW-Datei (vergleichbar
einem belichteten, aber noch unentwickelten Film). Es gibt nichts, was man
noch anfassen könnte. Und da praktisch beliebig viele Bilder geschossen
werden können, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, besteht
bei digitaler Fotografie immer auch etwas die Tendenz zu Beliebigkeit und
Willkürlichkeit. Das Auf-den-Punkt-bringen fehlt, zumindest in dieser
gnadenlosen 1:0-Härte wie bei der analogen Fotografie.

Und genau deshalb üben nachträglich manipulierte Fotos auf mich auch keinen
besonderen Reiz aus, jedenfalls nicht als Fotos im eigentlichen Sinne. Das heißt
natürlich nicht, daß es nicht wunderschöne und/oder interessante Bilder,
Ansichten oder Interpretationen sein können, aber das ist dann - zumindest
für mich - eine /andere/ Qualität, nicht notwendigerweise schlechter, sondern
einfach nur anders.

Wenn ich Fotografie mit Kunst vergleiche, dann ist analoge Fotografie für mich
soetwas wie Aktionskunst oder wie ein Musiker während eines Konzerts, es zählt
der Augenblick, in dem alles zusammenkommen muß. Das hat etwas Orgiastisches.
Eine Wiederholung ist /so/ nicht möglich - und selbst wenn dabei sichtbar das
gleiche Bild herauskommen würde, es wäre dennoch nicht das dasselbe Werk.

Bildbearbeitung oder Verfremdungen sind eher etwas wie Malerei oder wie
Schreiben. Man kann sich auch hier zu höchster Kunstfertigkeit hocharbeiten,
aber man hat jederzeit (bis zum Abgabetermin) die Möglichkeit, noch ein paar
Pinselstriche anzufügen, Nuancen anders zu setzen, an einer Formulierung,
einem inneren Rhythmus zu feilen, usw. Die einfacheren Nachbearbeitungs-
möglichkeiten der digitalen Fotografie kommen dieser Herangehensweise näher.

Ich schätze Kunstfertigkeit in der einen oder anderen Form, aber was für mich
persönlich das Wesen der Fotografie ausmacht, ist eher der erste Punkt.

Viele Grüße,

Matthias

PS. Beauty is a rare thing!



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RE: Fotografie und Fotokunst?

#12 von ingobohn , 01.11.2005 16:23

Matthias hat hier einen sehr wichtigen Punkt angesprochen: der Schaffensprozeß (an dessen Ende dann auch eventuell ein Unikat steht). Der Spruch "das Ergebnis zählt" oder, wie's der Dicke aus Oggersheim mal sagte, "wichtig ist, was vorne bei rauskommt" ist in meinen Augen auch nicht treffend.

Bei einem Fotoseminar bei Michael Gnade in Bensberg bei Köln hatten wir das Thema in einer kleinen Pause auch angerissen. Michael Gnade drückte es so* aus, daß man mit der Kamera in der Hand und wachen Sinnen durch die Welt geht und die Eindrücke einatmet. Trifft man auf einen Moment, der mich innerlich rührt, versucht der Fotograf dieses Empfindung mittels Kamera und Film festzuhalten. Er bannt also mehr oder weniger das Bild, was er bereits im Kopf und der Seele hat, auf Film. Eigentlich sei mit dem Druck auf den Auslöser genau genommen der Schaffensprozeß schon beendet und man bräuchte genaugenommen das gemachte Foto nicht mehr. Denn Fotografieren ist für ihn "Bilder einatmen".
Warum ein Fotograf dann doch in den meisten Fällen /wink.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="wink.gif" /> den Film entwickelt und Abzüge herstellt hat u.a. den Grund, daß er sehen will, ob das Bild, was er im Kopf hatte, auch mit dem, was auf dem Film sich befindet, übereinstimmt (Beweiskraft). Zudem ist natürlich ein Fotograf auch nicht uneitel und will mit dem Vorzeigen des Ergebnisses ggf. geschmeichelt und gelobt werden. Vor allem dann, wenn andere beim Betrachten des fertigen Bildes ebenfalls den Hauch erahnen und spüren können, den der Fotograf kurz vor dem "klick" eingeatmet hat.

Jetzt könnte man natürlich sagen, daß es dafür - das Einatmen - doch völlig egal sei, ob man mit Film oder Chip fotografiert. Nicht ganz... So wie Matthias schon sagte, kann die 0/1-Datei zur Beliebigkeit veröden. Ein Bild ist also nicht mehr der eingeatmete Moment, sondern dient quasi als "Rendering-Vorlage" für ganz andere Bilder, die weder der Wirklichkeit noch dem singulären Gefühl kurz vor dem "klick" entsprechen.

Das heißt aber natürlich nicht, daß die eine Art zu fotografieren gut und die andere schlecht ist. Es heißt aber für mich, daß es nicht meine Art zu fotografieren ist.






* Der Mann ist sicher - im Gegensatz zu vielen /wink.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="wink.gif" /> anderen unter uns ein Künstler und drückt sich daher für unerseinen manchmal etwas überdreht und/oder poetisch aus.



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RE: Fotografie und Fotokunst?

#13 von Tetrapak ( gelöscht ) , 01.11.2005 16:23

Ich halte es da ganz mit Feininger. Man kann ein Bild bearbeiten, wie man will, aber die Bearbeitung sollte die Darstellung des Motivs unterstützen und darf keinesfalls selbst zum Motiv werden. Feininger schreibt hierzu im Vorwort zur "Hohen Schule" :

"Doch besteht die Gefahr, dass besonders effektvoll wirkende Techniken dazu missbaucht werden, sinn- und geistlose Wirkungen zu erzielen. [...] Ich kenne sogar Fotografen, die im verzweifelten Versuch, originell um jeden Preis zu sein und neue Wirkungen zu schaffen, Aufnahmen duch das Wabengitter eines Belichtungsmessers gemacht haben. So etwas ist armselig."

Bearbeitung kann ein Motiv hervorragend unterstreichen und dem Bild so eine Aussage geben, die es vorher nicht hatte. Heute wird aber die Bearbeitung oft als Motiv selbst benutzt und ein solches Bild kann keine Aussage haben.



Tetrapak

RE: Fotografie und Fotokunst?

#14 von AlexDragon ( Gast ) , 01.11.2005 16:43

Alles gut und schön, was diese Herren gesagt haben und spricht ja auch nichts dagegen - Fakt ist aber: Jetzt haben wir 2005. fast 2006 und was zählt ist das heute und heute ist jetzt Digitale Kunst angesagt und wie es schon einmal so schön hiess: Alte Zöpfe muss man abschneiden, womit ich Niemand zu nahe treten möchte. Es gibt ja auch Leute, die immer nur Musik aus den 60igern hören. Ich bin eben anders und lebe jetzt und nicht in der Vergangenheit - face the reality!

LG

Alex /smile.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="smile.gif" />



AlexDragon

RE: Fotografie und Fotokunst?

#15 von anna_log , 01.11.2005 16:55

Ingo vertritt hier die gleiche Ansicht wie ich. Auch den wieder recht ergiebigen Beitrag von Matthias /wink.gif" style="vertical-align:middle" emoid="" border="0" alt="wink.gif" /> kann ich mich anschliessen. Wenn ich auf den Auslöser drücke, möchte ich ein ansprechendes nicht aber se interessantes Motiv vor der Optik haben. Man/frau macht sich erst Gedanken wie das Motiv mit den vorhandenen Mittel interessant gestaltet werden kann. Es gibt so viele Dinge, die man schon vor der Aufnahme machen kann: Mal ein paar Meter gehen, statt am Zoom zu drehen, mit der Schärfentiefe, Lichteinfall, Ausleuchtung per Folie, Aufnahmehöhe etc. spielen. Dann kommt der Druck auf dem Auslöser und später der spannende Moment, ob die eigene Motiv-Interpretation rüberkommt oder nicht. Wenn das Bild dann anderen auch gefällt und die den Pinsel über meinen Bauch streichen... Umso besser, daß tut gut und motiviert.

Wenn die Komposition passt, dann muss auch kein Himmel nachbehandelt werden. Kontraste bzw Helligkeit ändern oder Spiegeln lasse ich als kreatives Element der Nachbehandlung durchgehen. Das Austauschen kompletter Bildelemente ist für mich Beschiss.
Ähnlich sehe ich das bei Aufnahmen von beweglichen Motiven: Klar kann ich mich hinstellen, alles Einstellen und dann digitales Feuer frei geben. Abends gehe ich dann mit 5000-6000 Tsd Aufnahmen nach Hause und sortiere drei Tage vor der Glotze den Schrott aus. Mir macht es mehr Spass, sich in das Motiv reinzudenken und im richtigen Moment den Auslöser zu betätigen. Zwar ist dann auch Schrott dabei, aber weniger. Icher kann man so mal eine interessante Szene verpassen. Aber Ziel ist ja ein gelungenes Foto und keine Bewegungsstudien im Zeitraffer.

Lange Rede kurzer Sinn:
Ich mache meine Bilder lieber draussen als drinnen vorm PC.



Gruss
Matthias



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